Pierre Laucher
„Man sagt, dass eine Gute Tat nie vergessen wird“
Ein junger Elsässer verweigert sich
Pierre Laucher lebte mit seinen Eltern im elsässischen Wettolsheim, als er 1943 mit knapp 18 Jahren an paramilitärischen Vorübungen des Reichsarbeitsdienstes teilnehmen musste. Das Elsass war nach dem Frankreichfeldzug 1940 dem Gau Baden einverleibt worden und unterstand somit der deutschen Verwaltung. 1944 sollte Laucher dann als Soldat in der deutschen Wehrmacht dienen. Er war jedoch fest entschlossen, niemals eine deutsche Uniform zu tragen. So machte er sich gemeinsam mit zwei Freunden auf, um über die Schweiz in die „zone libre“ im Südosten Frankreichs fliehen. Dort wollte sie sich den französischen Streitkräften anschließen. Kurz vor der Schweizer Grenze wurden sie jedoch von einer deutschen Patrouille gefasst und zur Feldgendarmerie nach St. Louis und später in das Gefängnis von Mulhouse gebracht.
Dort forderten ihn die Nazis auf, in die Wehrmacht einzutreten. Weil sich Laucher dieser Forderung widersetzte sich, wurde er im Februar 1944 nach Schirmeck gebracht. Hier musste er in verschiedenen Kommandos Zwangsarbeit leisten: Laucher berichtet, wie die Deportierten zum Vergnügen der SS-Männer gedemütigt wurden: ‚Dieses Spiel bestand darin, dass sie uns in Löchern eingegraben haben, aus denen wir uns selbst befreien mussten.“[1]
Danach wurde Laucher nach Straßburg-Koenigshofen und nach Gaggenau deportiert, wo er in Berggängen arbeiten musste. Nachdem Pierre Laucher drei Monate in den Stollen verbracht hatte, wurde er wieder zurück nach Schirmeck verlegt. Doch hielt er auch hier seine Verweigerungshaltung aufrecht. So wurde er Anfang November nach Rastatt verlegt, von wo aus er am 2. Dezember 1944 wieder deportiert wurde.
„Als das Brot [für die Transportfahrt] verteilt wurde, sagte ich mir, dass ich es einteilen und aufsparen müsse, denn wir wussten nicht, wo man uns hinführte. Manche haben alles aufgegessen. Ich habe es aufbewahrt. Zwei Tage danach sind wir am 4. Dezember 1944 in Haslach angekommen.“[2]
Das Leben im Lager Vulkan – eigene Not und Solidarität
Nach dieser schier endlosen Zugfahrt mussten die Häftlinge sogleich zu Fuß vom Haslacher Bahnhof zum Steinbruch und Lager Vulkan gehen. Als sie vor den Stollen standen war den Männern klar: „Wenn wir da drinnen sind, werden wir nicht mehr herauskommen! Es war wohl wahr, dass wir eingesperrt waren, hinten gab es keinen Ausgang. Ich glaube, ich bin ein Monat dort gewesen, ohne das Tageslicht zu sehen. Man hat sich irgendwie organisiert. Ich habe die Jungen an die Hand genommen.„[3]Der gerade einmal 18-jährige Pierre hat im Lager Vulkan früh Verantwortung für noch jüngere Häftlinge übernommen; Verzweifelte ermunterte er durchzuhalten, indem er sie beispielsweise immer wieder drängte, die massenhaft aufkommenden Läuse aus den verschlissenen Kleidern zu entfernen. Taten sie dies in den nasskalten und verdrecken Lagerstollen nicht, sank ihre überlebenschance rapide.
Heilig Abend 1944 an diesen Tag erinnert sich Pierre Laucher heute noch sehr gut. So berichtet er, dass vor allem die Weihnachtslieder, die in den Gewölben des Stollens widerhallten wie in einer Kathedrale und die ganze Stimmenbreite des Männerchores in Französisch, Russisch, Deutsch und Englisch erklingen ließen“ [4], den Deportierten halfen für einige wenige Stunden ihre elenden und menschenunwürdigen Lebensumstände zu vergessen.
„Eine gute Tat wird niemals vergessen“ – Die Flucht
Von Januar bis März 1945 arbeitete Laucher in einem Kommando, das Strommasten im Außengelände aufstellte.
Dieses wurde von einem Wachmann der Organisation Todt (OT) namens Karl geleitet, den Laucher später als „durchaus sympathisch“ beschreibt. Da Pierre Laucher deutsch sprach, kam es zwischen den beiden zum Kontakt.
Als Karl sich einmal über das dürftige Essen beklagte, setzte Laucher alles auf eine Karte und machte ihm ein Angebot: „Wenn du mich eine Stunde weglässt, werde ich dir etwas zum Essen holen.“ Karl ließ ihn gehen. Pierre Laucher besorgte von einem Bauernhof im Tal Speck, Äpfel und Eier.
„Man sagt“, so Laucher, „dass eine gute Tat niemals vergessen wird“ [5]. Der OT-Wachmann Karl ermöglichte Pierre Laucher einige Zeit später die Flucht. Mit der Hilfe einer elsässischen Familie, die auf einen Bauernhof nahe Hofstetten evakuiert worden war, gelang es Laucher, sich bis zum Einmarsch der französischen Armee zu verstecken. Am 05. Mai 1945 sah Pierre Laucher endlich wieder seine Familie in seinem Heimatort Wettolsheim.